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Wo fange ich an, wo höre ich auf?

„Ich habe gute und schlechte Nachrichten“, meinte mein Onkel gestern, als wir ihn aus dem Krankenhaus kommend trafen.

Die Gute(n): Die Stele, das verbindende Röhrchen zum Ablauf ihrer verstopften Galle, wurde noch(!) nicht gelegt. Noch insofern, als dass die Ärzte einerseits sahen, dass die Säfte der Galle inzwischen wieder fließen würden und sie es andererseits, wenn es nicht zwingend erforderlich sei, sie meiner Oma diesen für sie doch nicht ganz unriskanten Eingriff (wegen der Verabreichung der blutverdünnenden Medikamente, welche sie einst schon einmal abgesetzt hatten, was den Schlaganfall nach sich zog) ersparen wollten. Die Verstopfung könne aber jederzeit wiederkommen und den Eingriff dann nötig machen.
Die andere gute Nachricht sei die, dass der Tumor aufgrund der Chemo nicht mehr weiter wachsen würde. Ich spreche deshalb im Konjunktiv, weil mir meine Mutter noch gestern Abend erzählt hat, dass sie mit dem Arzt, der meiner Oma die Chemo verabreicht hat, gesprochen habe und jener gemeint hätte, dass die Chemo bei meiner Oma nicht ansprechen würde, zumindest bisher noch nicht, der Tumor auch schon in die Galle gewachsen sei, was die Verstopfung selbiger auch erklärt. Ich weiß nicht, mit welchem Arzt mein Onkel gesprochen hat, beschönigen wollte er mir gegenüber aber sicher nichts, dessen bin ich mir sicher.

Die schlechte(n) Nachricht(en): Bei dem eigenständigen Versuch, auf die Toilette zu gehen, versagten meiner Oma die Kräfte in ihren Knien, weshalb sie zu Boden fiel – und das leider sehr unglücklich, so dass sich eine Platzwunde am Kopf, die mit mehreren Stichen genäht werden musste, zuzog. In Rücksprache mit meiner Oma erfuhr ich diesbezüglich noch, dass sie im Vorfeld den Pflegern mitgeteilt habe, dass sie zur Toilette musste, jene aber aufgrund des Stresses keine Zeit dafür gehabt hätten. Was soll ich bloß glauben? Einerseits kann ich mir nicht vorstellen, dass das Krankenhauspersonal so ein Verhalten an den Tag legt, andererseits würde mich meine Oma auch niemals belügen. Klar kann sie Details durcheinander bringen, aber es klang doch so glaubhaft (und die genähte Wunde am Kopf spricht ja auch für sich, ... nicht dafür, wie es dazu kam, aber dass es dazu kam), zumal sie mir gestern auch zum zweiten Mal eine andere Begebenheit, die sich ein Tag zuvor zutrug, identisch schilderte. Als ihr nämlich eine Schwester die Pflaster mit denen
die Kanülen verbunden waren, so fest hinunterriss, dass sie nun eine 5.-DM große
Fleischwunde oberhalb des Handgelenks hat, wobei ich diesbezüglich erläutern muss, dass meine Oma inzwischen durch das Cortison bedingt eine ganz dünne Pergamenthaut hat, was meines Erachtens eine gelernte Krankenschwester aber wissen müsste. Ich verstehe nicht, wie jemand so plump sein kann?! Und was äußerte die Krankenschwester daraufhin? „Das kann ja mal passieren“. Kann es eben nicht, meinte mein Onkel mir gegenüber und erzählte mir davon, dass sein Bruder, also mein anderer Onkel, das Krankenhaus deswegen schon verklagen wollte, wobei er es dann aber doch unterließ. Ich erfuhr auch, dass meine Oma eine ganze Zeit lang in ihrer eigenen Blutlache lag, bevor sie überhaupt jemand fand. Bedingt durch ihre Schwäche hatte sie auch nicht die Kraft, laut um Hilfe zu rufen. Sie robbte am Boden, vom Stuhl zur Tischkante, rief nach „Willi“, meinem Opa, dem „lieben Herrgott“, auch das erzählte sie mir gestern.

Heute darf sie übrigens nach Hause – als Pflegefall, was (noch) etliche Schwierigkeiten in sich birgt, da wir noch keine rund-um-die-Uhr-Betreuung organisieren konnten. Bevor sie am vergangenen Montag ins Krankenhaus kam, konnte sie ja zumindest noch alleine auf Toilette, weshalb es auch noch einigermaßen tragbar war, dass mein Onkel erst am Nachmittag wieder da war. Erst insofern, als dass er, wie bereits geschildert, täglich um 4 Uhr aufsteht, um die 130 Kilometer weite Strecke zu seinem Arbeitsplatz zu fahren, dort acht Stunden arbeitet, um dann so gegen 16 Uhr wieder da bei meiner Oma zu sein, wenngleich das hieß, dass sie bis zu diesem Zeitpunkt so gut wie nichts getrunken hat und das Flüssigkeitsmanko bis abends nicht mehr aufzuholen war (als sie am Montag ins Krankenhaus kam, bekam sie – via Tropf - erst einmal vier Ampullen Flüssigkeit , weil sie so ausgetrocknet war). Meinem Onkel gebührt in der Aufopferung sicherlich der meiste Respekt aller Mitwirkenden, die sich um meine Oma bemühen.

Die Zeit läuft mir inzwischen wieder mal davon. Mein erster Arbeitstag nach dem Urlaub steht an, deshalb etwas summierender.

Heute Mittag kommt der Pflegedienst, um sich die Verhältnisse vor Ort bei meinen Großeltern anzusehen. Geplant ist, dass sie ein eigenes Pflegebett, einen Rollstuhl sowie eine Lifta für die Badewanne erhält. Nachdem sich ihre gesundheitlichen Verhältnisse körperlich auch so verschlechtert haben, müssten sie sie inzwischen auch neu einstufen. Vielleicht geschieht auch das heute?

Alex, der aufopfernde Onkel, möchte seinen Chef nach
unbezahlten Urlaub fragen. Aber selbst wenn er diesen genehmigt bekommen
sollte, ... er muss ja auch von etwas leben. Wie bereits gesagt, wir haben noch niemanden, der meine Oma ganztägig betreut. Nimmt man sich eine deutsche Alten- oder Krankenpflegerin, muss man ca. 2.300 bis 2.500 Euro monatlich bezahlen. Eine Summe, die wir uns nicht leisten können, so traurig es klingt. Eine Alten- oder Krankenpflegerin aus Polen hingegen wäre, soweit ich das gestern im Netzt eruieren konnte, halblegal, schon für 1000.- Euro zu haben, wobei Kost und Logie hinzukämen. Selbst wenn wir das irgendwie arrangieren könnten, weiß ich nicht, inwiefern das meine Oma gutheißen würde, wenn sie von jemand Fremden, ganz egal welcher Nationalität, betreut würde und diese Person dann auch noch in ihrer Wohnung lebt. Aber haben wir eine Alternative? Um meine Oma familiär ganztägig betreuen zu können, müsste jemand seinen Job aufgeben.

Als ich meine Oma gestern gesehen habe, war ich zunächst total entsetzt. Sie schlief. Ihre Gesichtszüge waren entglitten, das
ganze Gesicht schien zu hängen, sie selbst lag so hager und ärmlich in diesem vergitterten Krankenhausbett (vergittert deshalb, weil sie einige Nächte zuvor daraus gefallen war). So habe ich sie definitiv noch nie gesehen. Ich schluckte.

Wir, der Pan und ich, waren über drei Stunden bei ihr. Zeit, in der sie die Ruhe und Entspannung fand aufzublühen. Zeit, in der das Leben wieder Gestalt in ihrem Gesicht annahm. Zeit, die wir auch lachend verbrachten. Zeit, in der sie die Sicherheit fand, in Ruhe ein wenig abzuschalten, zu schlafen, weil sie die Gewissheit hatte, dass jemand da ist, der auf sie aufpasst.

Auch wenn sie unser Besuch sicherlich anstrengte, konnten wir sehen, dass sie daraus Kraft schöpfte, obwohl mir meine Mutter später am Telefon mitteilte,
dass abends nichts mehr davon übrig geblieben sei.


... und morgen steht die Goldene Hochzeit meiner Großeltern auf dem Programm, wobei diese niemand feierlich begehen wird. Das stand ursprünglich mal an, wurde aber aufgrund der derzeitigen Befindlichkeit meiner Oma abgesagt. Wahrscheinlich werde ich ihr die Fingernägel schneiden und feilen und die ganzen Hände danach vorsichtig massierend einölen. Das tat ich vor Kurzem schon einmal und das hat ihr recht gut getan. Sie äußerte auch gestern den Wunsch danach, doch im Krankenhaus fehlten die Utensilien dafür. Meine Oma braucht keine materiellen Geschenke. Sie erfreut sich an der Aufmerksamkeit, der Zeit und der Zuneigung, die man ihr schenkt. Das macht sie auch so wertvoll.
 

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