
Endlich habe ich, was das Thema Zeit betrifft, einen Vergleich gefunden, der mir passend erscheint, um zu beschreiben, wie es mir mit diesem Phänomen steter Zeitknappheit geht. Bedingt durch die Tatsache, dass ich existiere, kann ich mich dem Einfluss des zeitlichen Voranschreitens natürlich nicht entziehen – wie jeder andere auch nicht. In diesem Punkt unterliegen wir objektiv betrachtet also alle der gleichen Einwirkung.
Der Sachverhalt des unmittelbaren Vergehens von Zeit rafft mich zwar nicht dahin, auch wenn ich massive Probleme mit dem Älterwerden habe, fühlt sich aber dauerhaft doch so an, als ob ich stets mit zu wenig Sauerstoff im Blut mein Dasein fristen müsste. Die nötige Luft zum Atmen reicht gerade noch zum Überleben, ist aber qualitativ von so minderwertiger Natur, dass von gesunder Güte nicht die Rede sein kann. Die Phasen, in denen ich mich nicht gehetzt sehe, sind so rar, dass Zufriedenheit sich nur SEHR selten an meine Seite gesellt und ich mir insofern die Frage nach einem lebenswerten Leben kaum bejahen kann.

Inzwischen ist mein Tag von so vielen selbst auferlegten Pflichten gesäumt, dass es mich nicht verwundert, dass Zeit zur Mangelware wird, wobei das Nachrichtenlesen dabei den größten Brocken einnimmt. Nachrichten kennen keine Auszeit, kein Tag und keine Nacht, kein Wochenende, kein nichts. Es gibt auch keinen Zeitpunkt im Jahr, an dem Nachrichtenstillstand herrscht, weil sich immer irgendwo etwas Berichtenswertes ereignet. Und in diesem Belang am Ball zu bleiben, habe ich mir zur Aufgabe gemacht. Ich kann Nachrichtenlesen nicht sein lassen, weil ich dann wegen schlechten Gewissens nicht einschlafen könnte, mir darüber hinaus dumm vorkäme, wenn jemand anders etwas wüsste, was ich noch nicht gelesen habe – das bezieht sich rein auf die Nachrichten, ansonsten ist mir natürlich bewusst, dass es Milliarden Menschen auf diesem Planeten gibt, die mehr wissen als ich. Morgens, so wie jetzt, lese ich den Nachrichtenticker bis zu dem Punkt zurück, an dem ich in der Nacht geendet habe. Abends lese ich bereits die lokale Tageszeitung, die am nächsten Tag erscheint, vor, nur damit ich schon frühzeitig informiert bin. Ich will das an dieser Stelle auch nicht weiter ausführen, nur noch mitteilen, dass mich früher, noch bis vor drei Jahren, Nachrichten NULL, aber auch so etwas von gar nicht interessiert haben, ich in diesem Punkt aber auch TOTAL planlos war und mir dieses lebenslange Defizit noch bis heute nachhängt, einfach weil mir Basiswissen fehlt, das ich, je nach Nachrichtenlage, dann durch weiteres Anlesen zu einem bestimmten Thema nachzuholen versuche. Es ist ein steter und stressiger Wettkampf mit der Zeit, der dauerhaft einfach nur erschöpft. Fatal ist zudem die Tatsache, dass ich mir nicht lange etwas merken kann und ich insofern zum wiederholten Lesen gezwungen bin, was einen weiteren Zeitverlust mit sich bringt.

Ich wohne jetzt seit 15 Jahren in dieser Stadt, weiß aber kaum einen Straßennamen oder kann die, die mir vom Hörensagen bekannt erscheinen, nicht mehr geographisch zuordnen, genauso wenig wie ich mir geschichtliche Details über die historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt merken kann, was ich, wenn mich, sollte mich tatsächlich mal ein Bekannter aus einer anderen Stadt besuchen, einfach nur unglaublich peinlich finde, obwohl ich in diesem Fall, wenn ich wüsste, dass jemand käme, mich im Vorfeld noch einmal einlesen würde. In der Hinsicht gleicht mein Hirn leider wirklich einem Sieb.
Tragisch finde ich in diesem Zusammenhang übrigens auch, dass das Erfolgserlebnis, etwas geschafft zu haben, so, um mal ein Beispiel aus dem Alltag zu nennen, wie das glänzende Auto, das nach dem Putzen vor einem steht, beim Nachrichtenlesen ausbleibt, weil es hier, wie bereits weiter oben geschrieben, einfach keinen Stillstand gibt.